Allein schon diese Frage mag in der aktuellen Zeit ein wenig merkwürdig anmuten. Denn es ist gesellschaftlicher Konsens geworden, Erkrankungen als „Feind“ des Menschen zu betrachten die „bekämpft“ werden müssen. Schon die Wortwahl legt nahe, dass wir im Krieg gegen Erkrankungen sind, die wir primär als sinnlos betrachten.
Aber ist diese Perspektive die einzig mögliche? Gibt es hier wirklich gar keinen Lichtblick? Sind wir den Erkrankungen ausgeliefert und müssen sie über uns ergehen lassen?
Goethes Zitat kann uns in diesem Fall einen anderen Blickwinkel schenken:
„Auch aus Steinen die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen.“
Er sagt also so viel wie: wenn wir auf ein Problem stoßen, dann können wir uns fragen, ob sich daraus nicht auch ein persönlicher Fortschritt entwickeln lässt. Interessant ist hierbei insbesondere die Beobachtung von Kinderkrankheiten. Denn oftmals können wir feststellen, dass das Kind mit einem bestimmten Lernschritt - wie z.B. sprechen lernen - Probleme hat und nicht so recht voran kommt. Nach einer kurzen Krankheitsepisode, meist begleitet von Fieber, steht das genesene Kind wieder auf und plötzlich hat es die Fähigkeit entwickelt, die vor der Erkrankung noch nicht ausgeprägt gewesen ist. Die Krankheit wirkt wie ein Entwicklungskatalysator, der auf geheimnisvolle Art und Weise den Weg zu einer neuen Fähigkeit gebahnt hat.
Ist diese Vorstellung nicht auch auf die Erkrankungen der Erwachsenen anzuwenden? Wie empfindet sich der Gedanke, dass die Erkrankung – so grausam und destruktiv Sie auch manchmal sein mag – eigentlich in Ihrem innersten Kern uns dabei helfen möchte, einen Lernschritt zu vollziehen, der uns aus irgendwelchen Gründen nicht gelingt?
Im Kleinen kennt diesen Prozess wohl jeder. Wir verderben uns den Magen mit einem ungenießbar gewordenen Lebensmittel. Die Übelkeit quält uns und wir liegen ein bis zwei Tage im Bett. Uns wird im Laufe des Heilungsprozesses bewusst, welche Rolle für uns gesundes und genießbares Essen spielt. Wir empfinden vielleicht die Seelenstimmung der Dankbarkeit, dass uns die Nahrung bislang so gute Dienste geleistet hat und/oder von einem Angehörigen gepflegt und umsorgt werden. Wir essen zukünftig wachsamer und bewusster. Wir haben durch die Erkrankung einen persönlichen Lernschritt vollzogen.
Der Heilpraktiker, Yogalehrer und spirituelle Lehrer Heinz Grill beschreibt diesen Prozess in noch tiefer gewählten und eindringlicheren Worten:
„...Das Feuer repräsentiert den so schwer zu fassenden Geist und dieser repräsentiert all dasjenige des Lebens, das man als Sinn und Bedeutung bezeichnen kann. Die Erscheinungen, die vielen Phänomenen und Offenbarungen des Gesundseins und des Krankseins besitzen in aller Tiefe einen geheimnisvollen Sinn. Sie können nicht dem Zufall und dem äußeren Schicksal unterliegen. In einer geistigen Wirklichkeit, in einem höchsten Daseinsgrund wurzelt zutiefst der verborgene Sinn der Erkrankung. So sehr grausam, widersprüchlich und destruierend viele Leiden und Krankheiten sind, wie beispielsweise die Alzheimer Erkrankung, so tief aber muss es um sie eine geistige Bedeutung geben. Es stellt für uns Menschen eine gewaltige Anforderung dar, diese Wahrheit, dass es einen verborgenen und inneren Sinn und damit inneren Willen gibt, der das Kranksein veranlasst, zu akzeptieren. Noch schwerer ist es anzunehmen, dass dieser verborgene Bedeutungswille im einzelnen Menschen selbst immanent ist. Das Glied, das als Geist bezeichnet wird, ist der verborgene Feuerfunke der Schöpfung und dieser ruht im Innersten eines jeden Menschen.“ (Heinz Grill *1)
Selbstverständlich wünschen wir weder uns Selbst noch Anderen eine Erkrankung. Wenn wir aber dennoch durch unseren Lebensweg damit konfrontiert werden, so können wir das Paradox feststellen, dass die Erkrankungen unseren Körper attackieren und verletzen können. Das wir aber, wenn wir mehr eine seelische Perspektive auf das Krankheitsgeschehen einnehmen, die Krankheit wie ein Helfer für unsere geistig-seelische Entwicklung betrachtet werden kann.
Zusammenfassend können wir demnach feststellen, dass Erkrankungen durchaus einen Sinn für unser persönliches Fortschreiten im Leben haben können. Voraussetzung dafür ist, diese Perspektive zu zulassen und uns auf die Suche nach dem „Schönen zu bauenden“ aufmachen. Falls Notwendig auch in Begleitung erfahrener Therapeuten und Ärzte, die uns dabei Helfen können diesen Prozess hoffnungsvoll mit Zukunftsperspektive zu ergreifen. Unser ganzes Leben können Krankheiten verändern und in eine andere, tiefere und inniglichere Richtung leiten. Indem Sie uns zu der hoch persönlichen und spannenden Frage führen: Wofür bin ich hier? Wofür möchte ich mein Leben einsetzen?
Quellen:
*1: Das Wesensgeheimnis der Seele, Heinz Grill, S.32 – Stephan Wunderlich Verlag
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